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Die Corona-Krise und ihre historischen Vergleiche


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Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich

Schlimmer als die Weltwirtschaftskrise von 1929? Die Corona-Krise strapaziert immer wieder historische Vergleiche mit früheren Wirtschaftskrisen. Doch nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Geschichte lässt sich selten vergleichen, aber man kann aus ihr lernen und Schlussfolgerungen ziehen. Was sagen renommierte Historiker zu den historischen Analogien.

Von Stefan Rothbart

Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich“, soll der berühmte amerikanische Autor Mark Twain angeblich einmal gesagt haben. Tatsächlich tauchen sie immer wieder in Krisenzeiten auf – die historischen Vergleiche. So auch jetzt. Die Corona-Krise wird angeblich schlimmer als die Weltwirtschaftskrise von 1929, meinen viele. Deflation und Hyperinflation werden schon vorausgesagt. Obwohl Geschichte sich durchaus zu wiederholen scheint, sind solche Vergleiche doch stets problematisch. Der bekannte deutsche Politikwissenschaftler Herfried Münkler, Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, sieht sogar erhebliche Differenzen zwischen der gegenwärtigen Krise und der von 1929. „Damals kam es zu einer unkoordinierten Reaktion von Staaten und Banken. Das ist heute nicht der Fall, denn die Staaten haben gezielt die Wirtschaft heruntergefahren, um die Infektionsgefahr in Grenzen zu halten. Sie haben weiterhin (jedenfalls in Europa) Instrumente, um die Arbeitslosigkeit zu begrenzen“, so Münkler. Trotzdem werde es Verwerfungen geben, aber diese würden anderen Mustern folgen als bei der Weltwirtschaftskrise. „Die großen Akteure, Staaten und Banken, haben Möglichkeiten, sich auf die Zeit nach dem Ende des Lockdowns vorzubereiten, und daneben gibt es supranationale Akteure, die das Handeln koordinieren und Geld in den Wirtschaftskreislauf pumpen. Das wird seine eigenen Probleme zur Folge haben, aber die sind andere als die von 1929“, analysiert Münkler. Walter Iber vom Institut für Wirtschafts-, Sozial- und Unternehmensgeschichte der KarlFranzens-Universität Graz sieht das ähnlich. „Ein großer Unterschied: Damals wurde die Krise durch eine wirtschaftsimmanente Entwicklung, einen Börsencrash, ausgelöst. Diesmal war die Wirtschaft intakt, es begann mit einem von der Politik verordneten Shutdown“, so Iber und erinnert daran, dass manche Ökonomen 1929 einen milden Krisen verlauf prognostizierten und die „Große Depression“ dann ein Jahrzehnt gedauert hat. So viel zur Treffsicherheit von Prognosen. Walter Iber ist aber überzeugt, dass man aus den 1930er-Jahren lernen kann, und plädiert für staatliche Konjunkturmaßnahmen.

Biedermeier 2.0 und eine neue Aufklärung?

Die aktuellen Einschränkungen und sozialen Verhaltenskontrollen erinnern auch an die Biedermeierzeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die durch Zensur und Kontrolle dominierte Phase von 1815 bis 1848 in Österreich könne aber nicht als „permanente Krisenzeit“ verstanden werden, analysiert Professor Nikolaus Reisinger, Wirtschafts- und Sozialhistoriker am Institut für Geschichte der Uni Graz. Der Rückzug ins Idyllische und Private habe damals mehr mit der beginnenden Industrialisierung, der Verstädterung und einem von der Romantik geprägten Naturverständnis zu tun gehabt. Parallelen sieht er weniger mit der Corona-Krise als vielmehr mit der ohnehin stattfindenden Digitalisierung. So wie die industrielle Welt damals tief ins Private eingedrungen ist, dringt heute die digitale Welt in unsere Stuben ein und erzeugt ein Bedürfnis, raus in die Natur gehen zu können. Die Biedermeierzeit sei außerdem auch eine Phase der Innovation gewesen. Die Eisenbahn löste nicht nur eine räumliche Mobilität, sondern auch eine soziale Mobilität aus. Daraus resultierten gänzlich neue sozioökonomische Fragestellungen, die in die bürgerliche Revolution von 1848 mündeten. Diese scheiterte zwar, wie Reisinger betont, aber sie war der Grundstein für einen mehrere Jahrzehnte andauernden Verfassungsdiskurs in Österreich, der bis in die heutige Zeit nachwirkt. „Wenn wir heute im Zuge der Corona-Krise über den Eingriff in bürgerliche Grundfreiheiten debattieren, dann deswegen, weil wir als Gesellschaft diese Freiheiten von 1848 ausgehend errungen haben“, so Reisinger. Ähnlich wie damals könnte auch die Corona-Krise zu einem Ausgangspunkt für eine neue Debatte um digitale Grundfreiheiten werden. „Wenn man die
Revolution von 1848 als markanten Wendepunkt in der österreichischen Verfassungsgeschichte sieht, dann könnte man für die Rückkehr zu einer durch die Corona-Krise wie auch immer veränderten Normalität im historischen Rekurs auf die Biedermeierzeit lernen, dass Krisen vorübergehen – das ist die banale Erkenntnis. Es gibt immer einen terminus post quem, der über je spezifische Lern- oder besser gesagt Veränderungspotenziale verfügt, die umsichtige, (ideologisch) wertfreie Analysen und Reflexionen zu wertvollen Erkenntnissen für zukunftsund verantwortungsorientierte Maßnahmen – auch im politischen Bereich und darüber hinaus – ermöglichen“, skizziert Reisinger einen historische Lernprozess als Verbindung zur Biedermeierzeit. 

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Foto: wikimedia

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